Jede Art zählt
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Leipzig. Der Zusammenhang zwischen Biodiversität und Ökosystemfunktionen hängt wesentlich von den vorherrschenden Umweltbedingungen ab. Diese Hypothese hat nun ein interdisziplinäres Team aus Mikrobiologen und ökologischen Modellierern des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und des Stockholm Resilience Centre überprüft. Im Rahmen von Laborexperimenten mit mikrobiellen Artengemeinschaften konnten die Wissenschaftler zeigen, dass Bakterienarten zwar funktionelle Redundanz aufweisen können, das Ausmaß dieser Redundanz aber ganz entscheidend von den Umweltbedingungen geprägt ist. Arten, die bei günstigen Umweltbedingungen für das Funktionieren eines Ökosystems eine Nebenrolle spielen, können unter ungünstigen Umweltbedingungen eine Schlüsselfunktion übernehmen – in Zeiten des Klimawandels ein weiteres Argument für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Publiziert wurden die Ergebnisse in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS, Early Edition).
Dass Vielfalt besser ist als Eintönigkeit, leuchtet spontan ein. Aber welchen Unterschied macht es für ein Ökosystem und die darin ablaufenden Prozesse, ob in ihm eine, sechs oder zwölf Baum-, Vogel- oder Bakterienarten vorkommen? „Einige Arten erfüllen im Ökosystem Funktionen, die sich oftmals erst unter schwierigen Umweltbedingungen entfalten“, so Dr. Antonis Chatzinotas, einer der beiden Hauptautoren der Studie. Chatzinotas ist Leiter der Arbeitsgruppe Mikrobielle Systemökologie am UFZ und Mitglied des iDiv. „Wir haben nun in mikrobiellen Gemeinschaften zeigen können, dass Arten je nach vorherrschenden Umweltbedingungen unterschiedlich stark aufeinander angewiesen sind – in unseren Untersuchungen umso mehr, je ungünstiger die Bedingungen waren.“
Dass biologische Vielfalt Prozesse in einem Ökosystem, wie etwa den Aufbau von Biomasse oder den Ablauf von Stoffwechselprozessen fördert, ist lange bekannt. Man weiß aber auch, dass sich mehrere Arten bzgl. ihrer Aufgaben im Ökosystem überschneiden können und somit funktionell redundant sind. Würden also nur redundante Arten verloren gehen, könnten die ökologischen Prozesse weiter aufrechterhalten bleiben. Fallen jedoch essenzielle Arten im ökologischen Gefüge aus, deren Rolle nicht durch andere kompensiert werden kann, werden diese Prozesse beeinträchtigt. „Mittlerweile wissen wir, dass das entscheidend von den jeweiligen Umweltbedingungen abhängig ist“, erklärt Dr. Ingo Fetzer, der andere der beiden Hauptautoren der Studie, der bis 2012 am UFZ tätig war. Würden Arten unter guten Umweltbedingungen als redundant, ihr Verlust somit als unerheblich gelten, so könne sich dieses Bild sehr schnell ändern, wenn sich die vorherrschenden Bedingungen verschlechtern. Einzelne Arten würden dann plötzlich ganz neue Rollen im ökologischen Gefüge einnehmen und so die Prozesse im Ökosystem am Laufen halten.
Untersucht haben die Wissenschaftler diese Zusammenhänge an mikrobiellen Artengemeinschaften. In umfangreichen Laborexperimenten setzten sie fast 900 Mikroben-Mischungen mit unterschiedlicher Artenzahl und -zusammensetzung drei verschiedenen Umweltbedingungen aus – von guten Bedingungen, unter denen viele der Organismen gedeihen, über weniger gute bis hin zu schlechten Bedingungen mit sehr hoher Salzkonzentration. Als exemplarischen ökologischen Prozess beobachteten sie, wieviel Biomasse die einzelnen Artengemeinschaften produzierten.
Es zeigte sich, dass unter den drei Szenarien jeweils umso mehr Biomasse gebildet wurde, je höher die Artenvielfalt im Modell-Ökosystem war. Besonders spannend dabei: „Keine der eingesetzten Arten konnte unter schlechten Bedingungen auf sich allein gestellt wachsen; kamen jedoch bestimmte weitere Arten dazu, so setzte plötzlich die Produktion ein“, so Chatzinotas. Der Grund dafür kann darin liegen, dass ein artenreiches Ökosystem Arten bereithält, die nach Umweltveränderungen plötzlich wichtige Schlüsselfunktionen einnehmen können. Vor allem bietet es auch die Grundlage für neue entscheidende Wechselbeziehungen zwischen den Arten. Beispielsweise können die Stoffwechselprodukte der einen Art durch eine andere genutzt werden.
Um solche grundsätzlichen Fragen der Ökologie zu untersuchen, sind Laborversuche mit Mikroorganismen besonders geeignet: Die Forscher können so eine große Anzahl von Experimenten mit vielen Wiederholungen auf kleinstem Raum durchführen und die Versuchsbedingungen dabei leichter kontrollieren und vergleichbar halten, als bei einem Feldversuch. Ob sich diese Erkenntnisse auf höhere Organismen, Tier- und Pflanzengemeinschaften, übertragen lassen, müssen nun weitere Untersuchungen zeigen. „Entscheidend ist die Erkenntnis, dass der Wert der Biodiversität nicht nur unter günstigen äußeren Umständen bewertet werden darf, sondern vor allem unter schwierigen“, so Antonis Chatzinotas. In Zeiten des Klimawandels ein wichtiges Argument für den Erhalt der biologischen Vielfalt und den Erhalt jeder einzelnen Art.
Publikation: Ingo Fetzer, Karin Johst, Robert Schäwe, Thomas Banitz, Hauke Harms and Antonis Chatzinotas (2015): “The extent of functional redundancy changes as species’ roles shift in different environments”. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS). Published online before print November 17, 2015,http://www.pnas.org/content/early/2015/11/16/1505587112Diese Arbeit wurde durch das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ im Rahmen des Forschungsprogramms SAFIRA II (Revitalisierung von Altlasten und Grundwasser bei Mega-Sites, Projekt "Compartment Transfer") unterstützt.Beteiligte Institutionen:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Stockholm Resilience Centre, Deutsches Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig.
weitere Informationen:
Dr. Antonis Chatzinotas
UFZ-Department für Umweltmikrobiologie
http://www.ufz.de/index.php?de=13569Telefon: +49 341 235 1324 Dr. Ingo FetzerStockholm UniversityStockholm Resilience Centrehttp://www.stockholmresilience.org/21/contact/staff/9-5-2012-fetzer.html Foto: Cornelia Menichelli / pixelio.de