Bäume erkennen Rehe an deren Speichel: Smarte Abwehrstrategien gegen Verbiss
Simulierter Verbiss: Nachdem die Knospe eines junges Ahornbaumes abgeschnitten wurde, wird Rehspeichel mit einer Pipette auf die Schnittstelle aufgetragen (Foto: Bettina Ohse/UL/iDiv).
Zwei der Co-Autoren der Studie, die Wissenschaftlerin Carolin Seele (Universität Leipzig) und der Wissenschaftler Stefan Meldau (Max-Planck-Institut für chemische Ökologie), sammeln Knospen für die spätere Analyse von Pflanzenhormonen und Tanninen (Foto: Bettina Ohse/UL/iDiv).
Die Erstautorin der Studie, Bettina Ohse, ist Doktorandin an der Universität Leipzig und Mitglied der Graduiertenschule yDiv (Young Biodiversity Research Training Group) des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung iDiv (Foto: privat).
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Leipzig. Bäume können unterscheiden, ob eine ihrer Knospen oder Triebe nur zufällig abgebrochen ist oder von einem Reh abgefressen wurde. Bei Rehverbiss setzen sie entsprechende Abwehrmechanismen in Gang. Dies ist das Ergebnis einer neuen Studie von Biologen der Universität Leipzig und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv). Ihre Forschungsergebnisse haben die Wissenschaftler im Fachjournal Functional Ecology veröffentlicht.
Hell und maigrün leuchten im Frühjahr die jungen, zarten Triebe aus dem Wald. Die Knopsen und Triebe sind die Zukunft der Wälder, lassen sie doch vor allem junge Baumzöglinge groß werden. Das Problem für die Bäume: Rehe mögen sie zum Fressen gern. Und leider schmecken ihnen gerade die Knospen besonders gut, die für die kleinen Bäume und ihr Wachstum so wichtig sind. Mit Glück braucht das angefressene Bäumchen nur ein paar Jahre länger zum Wachsen als seine nicht verbissenen Artgenossen – hat es Pech, wird aus ihm ein Krüppelbaum, oder es stirbt überhaupt ab. So können Rehe schnell viel Schaden anrichten und die Verjüngung von Beständen vieler Laubbaumarten erschweren.
Um sich vor der Reh-Gefahr zu schützen, setzen Bäume sich gezielt zur Wehr. Biologen der Universität Leipzig und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) haben jetzt anhand von Studien an jungen Buchen (
Fagus sylvativa) und Bergahornen (
Acer pseudoplatanus) herausgefunden, dass Bäume dabei genau erkennen, ob ein Ast oder eine Knospe durch ein Reh abgefressen wurde – oder nur zufällig durch eine Sturmbö oder eine andere mechanische Störung abgebrochen wurde. Das Signal dafür liefert ihnen der Speichel der Tiere. Frisst ein Reh an einem Baum und hinterlässt dabei seine Spuren, fährt der Baum seine Produktion an Salizylsäure hoch. Dieses Signal-Hormon wiederum veranlasst die Bildung einer Extraportion bestimmter Gerbstoffe. Von manchen dieser Stoffe weiß man, dass sie die Rehe in ihrem Fressverhalten beeinflussen, sodass diese den Appetit auf die Triebe und Knospen verlieren. Zusätzlich steigert das Bäumchen die Konzentration weiterer Pflanzenhormone, besonders der Wachstumshormone. Durch das zusätzliche Wachstum wird die verlorene Hauptknospe kompensiert.
„Bricht ein Ast oder eine Knospe dagegen ab, ohne dass ein Reh am Werk war, kurbelt der Baum weder seine Produktion des Signal-Hormons Salizylsäure noch die der Gerbstoffe an. Stattdessen bildet er vor allem Wund-Hormone“, erklärt Bettina Ohse, die Erstautorin der Studie. Zu ihren Erkenntnissen kamen die Wissenschaftler, indem sie Bäumchen im Leipziger Auwald austricksten: Sie simulierten, dass ein Reh an ihnen gefressen hat, indem sie Knospen und Triebe abschnitten und anschließend die Schnittstellen mit echtem Rehspeichel aus einer Pipette beträufelten. Kurz darauf erfassten sie die Konzentration der Hormone und der Gerbstoffe im Bäumchen.
„Im Anschluss an diese erste Grundlagenforschung wäre es interessant, auch weitere Baumarten auf ihre Abwehrstrategien gegenüber Rehen zu untersuchen“, so die Forscherin. „Würden sich hier einige als von Natur aus wehrhafter herausstellen, könnten diese möglicherweise in Zukunft in den Wäldern mehr gefördert werden.“
Verena Müller/Tabea TurriniLink zu hochauflösendem Bild:https://portal.idiv.de/owncloud/index.php/s/BPDjEnmXY2Rm6sEPublikation:
Ohse, B., Hammerbacher, A., Seele, C., Meldau, S., Reichelt, M., Ortmann, S. and Wirth, C. (2016), Salivary cues: simulated roe deer browsing induces systemic changes in phytohormones and defence chemistry in wild-grown maple and beech saplings.
Functional Ecology. doi:10.1111/1365-2435.12717 Online erschienen am 8. August 2016.
Finanzierung:
B.O. wurde gefördert von der DBU – Deutsche Bundesstiftung Umwelt, A.H., S.M. und M.R. wurden gefördert von der Max-Planck-Gesellschaft, und S.M. wurde gefördert durch einen Advanced Grant no. 293926 des Europäischen Forschungsrates.
Weitere Informationen:Bettina Ohse (Deutsch und Englisch)
Doktorandin an der Universität Leipzig und Mitglied der Graduiertenschule yDiv (Young Biodiversity Research Training Group) des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv)
Tel. +49-341-97-38595
https://www.idiv.de/de/das_zentrum/mitarbeiterinnen/mitarbeiterdetails/eshow/ohse-bettina.html und
https://biologie.biphaps.uni-leipzig.de/en/ag/systematic-botany-and-functional-biodiversity/people/bettina-ohse/sowieDr. Tabea Turrini
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Tel.: +49 341 9733 106
http://www.idiv.de/de/presse/mitarbeiterinnen.htmlLink:
Bettina Ohse in der Stipendiaten-Datenbank der DBU – Deutsche Bundesstiftung Umwelt:
https://www.dbu.de/stipendien_20013/241_db.htmliDiv ist eine zentrale Einrichtung der Universität Leipzig im Sinne des § 92 Abs. 1 SächsHSFG und wird zusammen mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Friedrich-Schiller-Universität Jena betrieben sowie in Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ. Beteiligte Kooperationspartner sind die folgenden außeruniversitären Forschungs-einrichtungen: das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ, das Max-Planck-Institut für Biogeochemie (MPI BGC), das Max-Planck-Institut für chemische Ökologie (MPI CE), das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI EVA), das Leibniz-Institut Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ), das Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie (IPB), das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) und das Leibniz-Institut Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz (SMNG).