27.04.2017 | TOP NEWS, Medienmitteilung, Domestikationsgenomik

Entschlüsselung des Gerstengenoms: Zwischen Brauerei und gefährdeter Vielfalt

Gerste auf den Feldern des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben (Foto: Heike Ernst/ IPK).

Gerste auf den Feldern des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben (Foto: Heike Ernst/ IPK).

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Gatersleben. Einem Team internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler legt die erste hochqualitative Referenzsequenz des Gerstengenoms vor. Gerste wird auf der gesamten Welt als Viehfutter und für die Bier- und Whiskeyherstellung genutzt. Die Sequenzierung des Genoms dieser wichtigen Getreideart wurde in den letzten zehn Jahren unter Einsatz verschiedener, modernster Verfahren durchgeführt. Nun sind Forschende erstmals in der Lage, alle Gene im Gerstengenom präzise zu lokalisieren und komplexe Genfamilien zu untersuchen. Die Referenzsequenz des Gerstengenoms wird auch Pflanzenzüchtern helfen, die genetische Vielfalt dieser Nutzpflanze für die Zucht verbesserter Sorten zu erschließen. Der Erstautor der Studie ist iDiv-Junior-Gruppenleiter Martin Mascher vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben. Die Entwicklung von Getreidesorten, welche sich sowohl an den Klimawandel anpassen als auch Resistenzen gegen Krankheitserreger aufzeigen, ist eine zentrale Herausforderung für die Pflanzenzucht. Die Sequenzierung der Genome dieser Gräser enthüllt den Ort, die Struktur und die Funktion von Genen und stellt damit wichtige Informationen für die wissensbasierte Erschließung der genetischen Vielfalt im Rahmen der Zucht verbesserter Sorten zur Verfügung. Vor zehn Jahren trat das Internationale Konsortium zur Sequenzierung des Gerstengenoms (engl.: International Barley Genome Sequencing Consortium, IBSC) zusammen, um die Referenzsequenz des Gerstengenoms zu erarbeiten. Zu dieser Zeit ein entmutigender Plan, ist das Gerstengenom doch fast zweimal größer als das menschliche Genom und von hochrepetitiven, komplexen Strukturen gekennzeichnet. Nun aber können die beteiligten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ihre gemeinsame Arbeit im renommierten Fachjournal Nature publizieren. Die Sequenzierung eines riesigen Pflanzengenoms In der letzten Dekade gab es einige Fortschritte bei der Entwicklung von Sequenzierungsmethoden und bioinformatischen Algorhythmen, welche dazu beigetragen haben, die Referenzsequenz des Gerstengenoms in höchster Qualität vorlegen zu können. „Die Sequenzierung und Zusammensetzung des Gerstengenoms war eine wahrhaft internationale Zusammenarbeit“, erklärt Nils Stein vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben/ Deutschland. Er leitet das IBSC seit dem Jahr 2008 und ist dankbar für die große Unterstützung, die dem Konsortium zuteilwurde: „Unser Dank geht an die öffentlichen und privaten Förderer, welche an den Erfolg des Projektes glaubten und unsere wissenschaftliche Arbeit in den letzten zehn Jahren getragen haben.“ „Die Erarbeitung und Analyse der großen Datenmenge und die dafür eingesetzten komplementären Ressourcen beschäftigte Forscherteams aus Deutschland, Großbritannien, China, Australien, der Tschechischen Republik, Dänemark, Finnland, Schweden, der Schweiz und den USA für die Dauer einer Dekade“ erzählt Guoping Zhang, Professor an der Zhejiang University in Hangzhou/China. „Das umfangreiche Datenmaterial, zunächst vorliegend als fragmentierte, kurze Sequenzen, wurde von Bioinformatikern mit modernsten Methoden zu einer linearen Ordnung zusammengesetzt“, erläutert Martin Mascher vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben/ Deutschland, einer der Erstautoren der in Nature publizierten Studie. Alle Datensätze und bioinformatischen Methoden sind über öffentliche Archive zugänglich und werden im Journal Scientific Data beschrieben. Das war keine einfache Aufgabe, denn, wie Manuel Spannagl vom Helmholtz Zentrum München, der die Annotation der Gene leitete, betont: „Das Gerstengenom enthält mehr als 39.000 Protein-codierende Gene, wovon viele in mehrfachen Kopien vorliegen.“ „Darüber hinaus weist es neben komplexen Genfamilien auch zahlreiche transposable Elemente auf, die ihren Ort im Genom ändern können, in der Gerste jedoch scheinbar spezifische Regionen des Genoms bevorzugen“, ergänzt Heidrun Gundlach, internationale Expertin für sich wiederholende DNA-Abschnitte in Pflanzen vom gleichen Institut. Ein besseres Verständnis von Genen, welche für die Bierherstellung notwendig sind Alkoholische Getränke, welche unter Verwendung von Gerstenmalz hergestellt werden, sind seit der Steinzeit bekannt und werden als eine Motivation angenommen, welche zur Kultivierung von Pflanzen geführt haben. Während des Mälzprozesses wird die Stärke in den keimenden Gerstensamen zu fermentierbaren Zuckermolekülen aufgespalten. „Seit mehr als 20 Jahren ist bereits bekannt, dass eine Vielzahl an Genen diesen Prozess beeinflussen. Ihre genaue Anzahl konnte bisher aber aufgrund der Vielzahl ähnlicher Kopien im Genom nicht definiert werden“, erklärt Chengdao Li, Direktor der Western Barley Genetics Alliance an der Murdoch Universität in Perth/ Australien. Mit Hilfe der Referenzsequenz können die Kopien nun genau verglichen werden. Ilka Braumann, Wissenschaftlerin am Carlsberg Research Laboratory in Kopenhagen, ist fasziniert von der unerwartet großen Dynamik der den Mälzprozess beeinflussenden Gene: “Ihre strukturelle Vielfalt war beim Vergleich der verschiedenen Gerstensorten eine große Überraschung für uns.” Gefährdete Vielfalt Gerste wurde vor ca. 10.000 bis 12.000 Jahren im Fruchtbaren Halbmond in Kultur genommen und wurde seitdem in alle Welt verbreitet. Der Prozess der Domestikation, der lokalen Anpassung, der modernen Züchtung wurde von einem intensiven Selektionsdruck begleitet, der die genetische Vielfalt der Gerste nach und nach verringerte. Große Genomabschnitte wurden gemeinsam und im Block vererbt, was die Neukombination von Allelen, d. h. von den verschiedenen Ausprägungen eines Gens, verhinderte. Das Team von Robbie Waugh am James Hutton Institut in Dundee/ Schottland nutzte die Referenzsequenz, um die genetische Vielfalt in modernen Elitesorten der Gerste zu untersuchen:“ Sie führt uns vor Augen, wie wichtig es ist, der weiteren Verringerung dieser Vielfalt im Rahmen und mit den Mitteln der Pflanzenzucht entgegenzuwirken.” Die Referenzsequenz des Gerstengenoms ist nun der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft sowie auch privaten Pflanzenzüchtern für genetische Analysen zugänglich. Andreas Graner, Leiter der Bundesweiten ex-situ Genbank für landwirtschaftliche und gartenbauliche Kulturpflanzen am IPK in Gatersleben/ Deutschland, zeigt sich begeistert: “Die Referenzsequenz wird uns helfen, die 22.000 Gerstenmuster in unserer Sammlung zu untersuchen und damit ihren Nutzen für die Erschließung ihrer Biodiversität im Rahmen züchterischer Anstrengungen abzuschätzen. Langfristiges Ziel ist es, Gerstensorten zu züchten, die auch unter sich ändernden Umweltbedingungen starke Erträge zeigen und so zur globalen Ernährungssicherung beitragen.” Pressemitteilung des IPK GaterslebenOriginalpublikation: Martin Mascher, Heidrun Gundlach, Axel Himmelbach, Sebastian Beier, Sven O. Twardziok, Thomas Wicker, Volodymyr Radchuk, Christoph Dockter, Pete E. Hedley, Joanne Russell, Micha Bayer, Luke Ramsay, Hui Liu, Georg Haberer, Xiao-Qi Zhang, Qisen Zhang, Roberto A. Barrero, Lin Li, Stefan Taudien, Marco Groth, Marius Felder,, Alex Hastie, Hana Šimková, Helena Staňková, Jan Vrána, Saki Chan, María Muñoz-Amatriaín, Rachid Ounit, Steve Wanamaker, Daniel Bolser, Christian Colmsee, Thomas Schmutzer, Lala Aliyeva-Schnorr, Stefano Grasso, Jaakko Tanskanen, Anna Chailyan, Dharanya Sampath, Darren Heavens, Leah Clissold, Sujie Cao, Brett Chapman, Fei Dai, Yong Han, Hua Li, Xuan Li, Chongyun Lin, John K. McCooke, Cong Tan, Penghao Wang, Songbo Wang, Shuya Yin, Gaofeng Zhou, Jesse A. Poland, Matthew I. Bellgard, Ljudmilla Borisjuk, Andreas Houben, Jaroslav Doležel, Sarah Ayling, Stefano Lonardi, Paul Kersey, Peter Langridge, Gary J. Muehlbauer, Matthew D. Clark, Mario Caccamo, Alan H. Schulman, Klaus F.X. Mayer, Matthias Platzer, Timothy J. Close, Uwe Scholz, Mats Hansson, Guoping Zhang, Ilka Braumann, Manuel Spannagl, Chengdao, Robbie Waugh & Nils Stein: A chromosome conformation capture ordered sequence of the barley genome', Nature, 27 April 2017, doi:10.1038/nature22043. Sebastian Beier, Axel Himmelbach, Christian Colmsee, Xiao-Qi Zhang, Roberto A. Barrero, Qisen Zhang,, Lin Li, Micha Bayer, Daniel Bolser, Stefan Taudien, Marco Groth, Marius Felder, Alex Hastie, Hana Šimková, Helena Staňková, Jan Vrána, Saki Chan, María Muñoz-Amatriaín, Rachid Ounit, Steve Wanamaker, Thomas Schmutzer, Lala Aliyeva-Schnorr, Stefano Grasso, Jaakko Tanskanen, Dharanya Sampath, Darren Heavens, Sujie Cao, Brett Chapman, Fei Dai, Yong Han, Hua Li, Xuan Li, Chongyun Lin, John K. McCooke, Cong Tan, Songbo Wang, Shuya Yin, Gaofeng Zhou, Jesse A. Poland, Matthew I. Bellgard, Andreas Houben, Jaroslav Doležel, Sarah Ayling, Stefano Lonardi, Peter Langridge, Gary J. Muehlbauer, Paul Kersey, Matthew D. Clark, Mario Caccamo, Alan H. Schulman, Matthias Platzer, Timothy J. Close, Mats Hansson, Guoping Zhang, Ilka Braumann, Chengdao Li, Robbie Waugh, Uwe Scholz, Nils Stein & Martin Mascher: Construction of a map-based reference genome sequence for barley, Hordeum vulgare L., Scientific Data, 27 April 2017, doi: 10.1038/sdata.2017.44. Mehr Informationen über das IPK: Das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben ist eine außeruniversitäre, mit Bundes- und Ländermitteln geförderte Forschungseinrichtung und Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Am IPK forschen und arbeiten mehr als 500 Mitarbeiter/-innen aus über 30 Nationen. Zentrales Anliegen der wissenschaftlichen Arbeiten am IPK ist die Untersuchung der genetischen Vielfalt von Kultur- und verwandten Wildpflanzen und der Prozesse, die zu ihrem Entstehen geführt haben. Daraus abgeleitet erfolgt die Aufklärung der molekularen Mechanismen, die zur Ausprägung und Variation pflanzlicher Merkmale beitragen. Hieraus erwachsende Erkenntnisse ermöglichen die Entwicklung und Anwendung von Strategien zu einer vertieften Charakterisierung und darauf aufbauend zu einer wissensbasierten Nutzbarmachung der in der Genbank vorgehaltenen pflanzengenetischen Ressourcen.
www.ipk-gatersleben.deMedienkontakt: Regina Devrient, IPK
Sabine Odparlik, IPK
Geschäftsstelle des Direktoriums I Öffentlichkeitsarbeit
Tel. +49 039482 5837
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