iDiv-Wissenschaftler*innen reagieren auf die prekären Arbeitsbedingungen an Universitäten und Forschungsinstituten in Deutschland
iDiv’s Forscher*innen1 sind besorgt über die bereits prekären Arbeitsbedingungen in Deutschland und alarmiert, dass diese mit Inkrafttreten eines neuen WissZeitVG noch verschärft werden.
Dieses Gesetz bestimmt spezifisch die Vertrags-/ und Arbeitsbedingungen von Doktorand*innen und Postdocs in Deutschland, die zu ~90% auf befristeten Verträgen für 2-3 Jahre arbeiten.
Befristete Stellen erzeugen enormen Druck auf Wissenschaftler*innen und kompromittieren die Qualität unserer Forschung. Die Forschung am iDiv adressiert die Herausforderungen, vor denen die Weltbevölkerung steht, wie das Aussterben von Arten, Biodiversitätsverlust, Klimawandel, welche komplex sind und Zeit und Fokus erfordern. Kurzzeitverträge reduzieren diese Ressourcen drastisch und hindern Wissenschaftler*innen daran, zukunftsweisende Forschung und Lösungen zu diesen Themen beizutragen.
Die Probleme von befristeten Verträgen sind vielfältig:
- Interdisziplinäres wissenschaftliches Arbeiten und die dafür benötigte gemeinsame Sprache, um Spezialist*innen aus verschiedenen Disziplinen zusammen zu bringen, benötigen Zeit und Kontinuität (auch in der Beschäftigung). Dieser Punkt betrifft uns am iDiv besonders, da das Ziel unserer Forschungseinrichtung ist, interdisziplinär zu forschen.
- Zeitdruck Ergebnisse zu liefern, die notwendig sind um den nächsten Job oder die nächste Drittmittelfinanzierung sicherzustellen: Exzellente Wissenschaft braucht Zeit, auch Zeit um Kolleg*innen kennenzulernen, Kollaborationen zu knüpfen und sich mit den lokalen Prozessen vertraut zu machen. Erfolgreiche Anträge und Bewerbungen benötigen eine sorgfältige Vorbereitung, ein eingespieltes Team oder die Unterstützung durch Kolleg*innen und auch die Fähigkeit sich und seine Ideen gut zu verkaufen. Der steigende Zeitdruck verringert die wissenschaftliche Qualität und führt gegebenenfalls zu wissenschaftlichem Fehlverhalten.
- Mentale Gesundheitsprobleme aufgrund von stetig steigendem Druck und Unsicherheit; Arbeitszeitverlust durch häufiges Umziehen; Verlust von familiärem und sozialem Umfeld und dadurch höherem Stress resultieren in geringerer Produktivität.
- Risiko eine Familie zu gründen: Die PostDoc-Phase fällt häufig mit der Zeit der Familienplanung zusammen. Die vorübergehende Reduzierung der Arbeitszeit setzt Wissenschaftler*innen, die sich um ihre Kinder kümmern wollen, einem höheren Risiko aus, aus der Wissenschaft gedrängt zu werden. Da nach wie vor häufiger Frauen als Männer einen Großteil der Kinderbetreuung übernehmen, diskriminieren befristete Verträge vor allem Frauen.
- Rechtsunsicherheit bei ausländischen Wissenschaftler*innen: Visa laufen häufig direkt mit dem Ende des Arbeitsvertrages aus. Eine Finanzierungslücke von nur einem Monat kann bereits die Ausweisung aus Deutschland bedeuten und das Erneuern des Visums kann mehr als sechs Monate dauern. Dies ist besonders diskriminierend gegenüber Wissenschaftler*innen aus dem globalen Süden, welche bereits zum Betreten des Landes ein Visum benötigen.
- Etablierte PostDocs übernehmen häufig wichtige Rollen als Mentor*innen, Lehrende, Zweitbetreuer*innen etc. Diese PostDocs zu verlieren reduziert die Qualität der Ausbildung von Student*innen und Doktorand*innen.
Die Exzellenz der Forschung hängt maßgeblich davon ab, dass brillante Denker*innen inter/national angezogen werden. Dafür müssen wissenschaftliche Stellen konkurrenzfähig sein; je besser die Bedingungen, desto weniger “Braindrain”. Wir brennen für die Wissenschaft; wir sind motiviert, jeden Morgen für die Arbeit aufzustehen. Doch viele von uns überlegen, die Wissenschaft zu verlassen und/oder Deutschland zu verlassen, um weiterhin in der Wissenschaft zu arbeiten. Das liegt hauptsächlich an den extrem limitierten unbefristete Stellen, den prekären Verhältnissen und den daraus mangelnden Zukunftsperspektiven.
Wenn Deutschland internationale Spitzenforschung betreiben und weiterhin als “Wissenschaftswunderland” gelten möchte, muss es seine*n hochqualifizierten Wissenschaftler*innen das ermöglichen, worin sie gut sind: Wissenschaft.
Der aktuelle WissZeitVG-Vorschlag, zusammen mit der generellen politischen und finanziellen Situation von Universitäten und wissenschaftlichen Instituten in Deutschland führt unseres Erachtens nicht zu mehr unbefristeten Stellen und somit auch nicht zu einer Verbesserung der Situation, sondern einer Verschärfung. Demnach müssen erfahrene Wissenschaftler*innen noch früher das System verlassen. Sie werden von weniger erfahrenen Nachwuchswissenschaftler*innen ersetzt, was die Qualität von Forschung und Lehre mindert.
Gute Wissenschaft braucht:
mehr unbefristete Stellen an Universitäten und Forschungsinstituten. Nach der Promotion sollte eine Festanstellung in Positionen außer der Professur möglich sein, so wie es in den meisten Ländern (zB Frankreich und England, siehe Kreckel 2016) der Fall ist, wo 70-90% der Forschungsstellen unbefristet sind. Dies ist derzeit in Deutschland fast unmöglich, unter anderem wegen zahlreicher gesetzlicher, bürokratischer aber vor allem systemischer und finanziellen Hürden.
Wir ermutigen Entscheidungsträger*innen und das BMBF nachdrücklich unsere Sorgen zu berücksichtigen, sich dafür einzusetzen die Gesetzeslage so zu verändern, dass mehr unbefristete Stellen entstehen, um Deutschland als einen führenden Wissenschaftsstandort mit zukunftsorientierter Spitzenforschung zu stärken.
1 Hier sind alle Wissenschaftler*innen gemeint, die keine unbefristete Stelle (meist Professur) haben. Unter den Forscher*innen in Deutschland unter 45-jährigen und ohne Professur sind das 92%.
Quellen und weiterführende Informationen
- Research in Germany - Two Minutes in a Research Wonderland!
- Reinhard Kreckel, Zur Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses an Universitäten: Deutschland im Vergleich mit Frankreich, England, den USA und Österreich, Beiträge zur Hochschulforschung, 38. Jahrgang, 2016 (PDF)
- Markus A. Dahlem, Die Umgehung der Zwölf-Jahres-Regelung, Spektrum Scilogs, 2011
- Bartosz Bartkowski, Warum Entfristung und Finanzierung aus Drittmitteln in der Wissenschaft kein grundsätzlicher Widerspruch sein müssen, 2022
Ansprechpartner:
Kati Kietzmann
Abteilung Medien & Kommunikation
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Tel.: +49 341 9739222
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